Autor | Kategorie | Datum |
Dr. Martina Rehberg-Rechtenbach | Coaching | 12/2018 |
Beim Lesen von Fachzeitschriften, die sich mit Coaching in Personal- und Organisationsentwicklung befassen, habe ich in letzter Zeit öfter das Bild vom bekannten "Sturm im Wasserglas" vor Augen. Ständig wechselnde Begrifflichkeiten und wissenschaftlich klingende Traktate, die darauf ausgerichtet scheinen, eine Vorgängerversion unbedingt zu übertrumpfen. Ich komme mir beim Lesen vor wie zu meinen Studienzeiten, als das tägliche Vokabeln-Lernen in drei Sprachen zunächst wichtiger war als das Verstehen der zugrunde liegenden Theorie.
Allmählich aber legt sich mein Staunen, weil mir klar wird, dass ich mich offenbar täuschen lasse. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich, dass es sich bei jenen gelehrt klingenden Traktaten vielfach um Variationen zu bekannten und in der Literatur fundiert und ausreichend dargestellten Themen zu handeln scheint.
- Was also ist neu an diesen Artikeln? Gibt es überhaupt etwas Neues?
Das Neue ist oftmals nur der Begriff. Dem Englischen oder Lateinischen entlehnt oder vermischt – Hauptsache, dieser Begriff ist soweit verfremdet, dass er sich für jede Art ideologischer Fracht eignet.
Dabei wird ein Muster erkennbar: Offensichtlich wird jedes Mal ein Begriff in den Raum gestellt und so getan, als verberge sich dahinter ein neuartiges Phänomen.
Besagter Begriff taucht jedoch nur in einem anderen Zusammenhang auf. Er wurde aus seiner Ursprünglichkeit herausgelöst und einen - oftmals paradox anmutenden – Rahmen gestellt, als wäre das selbstverständlich.
In der neurolinguistischen Programmierung heißt dieser Vorgang Reframing. Allerdings müsste man im vorliegenden Fall von einem REFRAMING VERKEHRT sprechen.
Der aus der Materialwirtschaft stammende Begriff RESILIENZ und seine inzwischen kontrovers geführte Diskussion zeigen sehr anschaulich, wie einzelne Prozesse innerhalb des beschriebenen Musters funktionieren. Bei DISRUPTIVE THINKING muss ich unweigerlich an Piraten denken…
Das Ganze geschieht in einer Art und Weise, die äußerst subtil ist und daher rasch akzeptiert zu werden scheint. Mehr noch, viele Fachleute und Experten scheinen nur darauf zu warten, diese nun fremdartige Neuschöpfung in ihr Sprachrepertoire aufzunehmen und eifrig zu diskutieren, wie man es nur aus den Geschichten über die Schildbürger kennt.
Auf dieser Grundlage entstehen neue geglaubte Wichtigkeiten, wie DIE MÄRKTE, DIE KÜNSTLICHE INTELLIGENZ, DIE DIGITALISIERUNG, NEW WORK, AGILE METHODS, BER 1.0. bis BER XX.0. Um noch eins draufzusetzen: AMBIDEXTRIE.
Eine flackernde Diskothek aus schrillen Worthülsen, die so manch einen in Erklärungsnot bringen, weil sich damit nichts Bildhaftes verbinden lässt. Und das ist Absicht.
Bei der Produktion dieser NEW WORDS (mein lizenzfreier Beitrag zum Sprachmüll) fällt eine gewisse Alternativlosigkeit auf, die in dem damit verbundenen Konstrukt geistiger Abhängigkeiten lauert. Das also sind die modernen Mächte, gegen die neue Helden mit dem Laserschwert zu Felde ziehen. Das also sind die neuen Schlachtrufe, damit die Truppen ja nicht müde werden. Daraufhin ist der Fokus einzuengen. - Ein täglich inszeniertes Ablenkungsmanöver?
In der Gesamtschau wirken viele Zeitschriftenartikel zu diesen chamäleonartig „neuen“ Themen wie der verzweifelte Versuch, am Ball zu bleiben und fachkompetent zu wirken. Nur ein Teil der Autoren weist ab und zu darauf hin, dass hier neuer Wein in alte Schläuche gegossen wird**.
Das wäre aus meiner Sicht als jahrtausendealte Praxis noch hinnehmbar, wenn heute nicht folgender Aspekt im Vordergrund stünde: Auch eine böse Absicht der jungen Winzer ist nicht auszuschließen.
- Sollen die alten Schläuche etwa gesprengt werden? - Und was kommt, bitteschön, danach?
Unzählige Fachzeitschriften veröffentlichen Artikel über Kongresse, Workshops, Bücher sowie Seminar- und Beratungsanbieter, die in der Summe einen beachtlichen Markt darstellen.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich hier neben solidem Handwerk längst eine Parallelwelt etabliert hat, die sich zur Blase ausweitet.
Bei Vera Birkenbihl habe ich einmal gelesen, dass Sprache in uns Bilder erzeugt, dass Bilder Energieträger sind und dass wir Menschen in Bildern denken.
Daraus ergeben sich für mich folgende Schlüsse: Fremdsprachige Begriffe und REFRAMING VERKEHRT stören unsere emotionalen Verknüpfungen zu Original-Bildern und erfordern permanent Veränderungs-Energie für die Abwandlung unserer inneren Bilder. Das wiederum erzeugt Stress.
Das heißt, wenn Sprache und inneres Bild nicht mehr übereinstimmen, oder wenn unser Unterbewusstsein gar kein Bild mehr zuordnen kann, entsteht Stress. Und das macht unsicher, schwach, ängstlich. Wer kann schon gegen DIE GLOBALISIERUNG antreten?
Ist hier eine NEW WORD INDUSTRY im Entstehen, die tagtäglich „Trojaner“ produziert ?
Es ist höchste Zeit, besagte begriffliche Neuschöpfungen etwas genauer zu definieren und vor allem danach zu fragen, womit ein solcher Begriff assoziiert wird, um Manipulationen und „Blasen“ rechtzeitig zu erkennen.
Klarheit und Stimmigkeit im Wort, in seiner Bedeutung und im individuell beschriebenen Bild des Klienten gehören zum hohen Prinzip im Coaching. Klärungsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil von Coaching.
Es ist allgemein bekannt, dass innere Bilder Realität erzeugen können. Inneres Bildergewirr auch – nämlich Stress und Chaos.
Wer auch immer zu den Kärrnern heutzutage zählt – sie haben Wichtige(re)s zu tun.
*Anspielung auf ein Zitat von Friedrich Schiller : Wenn die Könige baun, haben die Kärrner zu thun.
**Die Bibel; Matthäus 9,17
Über die Autorin Dr. Martina Rehberg-Rechtenbach Zertifizierter Coach(DCV)
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